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04.05.2024

Wir sollten viel mehr reden, über das, was uns wirklich beschäftigt

Arno Geiger und „Das glückliche Geheimnis“ beim Eifel-Literatur-Festival in Prüm

Um nichts weniger als das Leben ging es bei der Lesung des österreichischen Schriftstellers Arno Geiger beim Eifel-Literatur-Festival in der Aula des Schulzentrums in Prüm. 420 Gäste waren gekommen, um dem Träger des Deutschen Buchpreises 2005 und seinem Werk „Das glückliche Geheimnis“ zu begegnen. Tatsächlich gestaltete sich der Abend auch wie eine echte Begegnung. Denn der 55jährige Schriftsteller gewährte mit Kostproben aus einem durch und durch autobiografischen Buch sowie freimütigen, ehrlichen Antworten tiefe persönliche Einblicke.

Dass sich seine Lesung zu einem ebenso lebendigen wie unterhaltsamen und zum Nachdenken anregenden Erlebnis entwickeln konnte, lag auch am klug geplanten Ablauf. Festival-Leiter Dr. Johannes Zierden stieg am Anfang unmittelbar in ein Gespräch mit dem Autor ein, um dann Lese- und Interviewpassagen im Wechsel folgen zu lassen. Das wirkte sehr schön locker, stellte Nähe her und veranschaulichte bestens die Verwobenheit des Menschen Arno Geiger mit seinem literarischen Schaffen.

Schon gleich zu Beginn, als Arno Geiger berichtete, in den vier Tagen vor der Lesung in Prüm sei er mit seiner Ehefrau Katrin durch die Eifel gewandert, wurden Bezüge deutlich: „Genau so geht´s im Leben – über Stock und Stein und dann wieder ganz eben und leicht“. Und genau davon handelt sein Buch. Es beginnt mit „Stock und Stein“, den Anfängen des jungen Mannes aus ländlichem Umfeld, der sich, mit dem erklärten Ziel, Schriftsteller werden zu wollen, in Wien zum Studium einfindet. In seiner ersten Lesepassage schildert Arno Geiger, in welch beengten und ärmlichen Verhältnissen er mit Anfang Zwanzig lebt. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er aus Saisonarbeit als Technikgehilfe auf der Seebühne in Bregenz. Zufällig entdeckt er eines Tages an einem Altpapiercontainer Kisten mit alten Büchern. Das ist der Funke, der ihn bewegt, fortan regelmäßig im Altpapier nach etwaigen Schätzen zu suchen. Tatsächlich birgt er Kostbarkeiten, die er zur Aufbesserung des Lebensunterhalts veräußern kann, fühlt sich aber wie ein „Lumpensammler“ und „Altwarenhändler“.

Freimütig erzählt er, dass ihm die Unzulänglichkeit seiner damaligen schriftstellerischen Versuche sehr bewusst gewesen sei, er hart daran feilte, zu Form und Ausdruck zu finden. Aber: „Ich bin ein zuversichtlicher Mensch!“. Weil er nicht aufgibt, ebnet sich viele „brotlose“ Jahre und Entwicklungsphasen später der Weg für Arno Geiger. Mit „Es geht uns gut“, einem Buch, „in das ich alles reingeworfen und für das ich mich vollständig selbst ausgebeutet habe“, landet er trotz Hinhaltetaktik des Verlags einen Riesenerfolg und wird dank seines Lektors für den Buchpreis nominiert, den er dann auch gewinnt. Ab jetzt ist seine materielle Situation komfortabel, er wird endlich als Schriftsteller wahrgenommen, eingeladen und in den Mittelpunkt gerückt. Und sein Lebensgefühl ist: „Ich habe mich gemacht“ (mit Betonung auf „Ich“).

Doch sein Doppelleben als „Müllsammler“ führt er weiter, denn es hat nicht nur als körperlicher Ausgleich zur Schreibtischarbeit besondere Bedeutung: „Diese Runden haben mich geprägt als Schule des Lebens“, sagt er. Er bewegt sich in einem Außenseitermilieu, das für Außenstehende so wenig interessante Aura hat, dass er darin trotz seines Erfolges unerkannt bleibt. Zudem fördert er als wirkliche Schätze private Briefe und Tagebücher aus den Containern. Sie ermöglichen ihm, „Stimmen aus dem echten Leben“ wahrzunehmen und „hinter die Kulissen schauen zu können“. Er begreift, was Menschen bewegt: „Sie geben sich einfach selbst Ausdruck, sie schreiben ja nicht, weil sie einen Literaturpreis wollen“.  Das, so sagt Arno Geiger, habe ihn nachhaltig geprägt: „Und was in die eigene Person übergeht, hat Bestand“.

Nach jahrelangem Ringen allein um Form und Ausdruck ist es ihm nun selbst möglich, offen und direkt über die elementaren Dinge des Lebens zu schreiben, das was ihm persönlich wichtig ist. In diesen Zusammenhang setzt er eine weitere Lesepassage, die eindringlich beschreibt, wie seine Mutter, eine gebildete und ehemals sehr moderne und selbstständige Frau durch einen Schlaganfall ihre Sprache verliert. Ob es ihm schwerfalle, derart Privates in die Öffentlichkeit zu bringen, fragt Dr. Zierden: „Nein, überhaupt nicht, das ist Lebensrealität, viele Menschen wissen, wovon ich spreche. Beziehung, Krankheit, Tod – das sind einschneidende Dinge und nichts, wofür man sich schämen müsste!“. An dieser Stelle bekommt Arno Geiger ganz besonders viel Applaus. Er gilt einem, der Eindruck als ein lebenskluger, humorvoller, menschlich nahbarer, bodenständiger, authentischer und verbindlicher Autor hinterlassen hat.
Anke Emmerling, Eifel-Literatur-Festival